Der alte Dachs

ein Balladen-Kranz


I. Das Leben

Es sitzt ein alter Dachs in seinem Bau.
Die Ohren leisten grad so ihre Pflicht,
es bleibt ihm auch noch etwas Augenlicht.
Sein Fell ist strähnig, stuppig, silbergrau.

Er lebt seit vielen Jahren vor sich hin.
Einst war er stolzer Pascha, großer Schah,
heut fehlt ihm das Gebrumme seiner Schar.
Jetzt wärmt ihn nur das Feuer im Kamin.

Und dann der Schnaps - der wärmt gar schön von innen!
Der Flasche Geister kitzeln süß die Sinnen.
Nun hat er sich mal wieder reich betrunken.

Der einen, die ihm damals Liebe gab,
der legte er sein Herz hinein ins Grab.
Sein Morgenstern ist lange schon versunken.

II. Der Morgenstern

Sein Morgenstern ist lange schon versunken.
Wenn er in einer lauen Sommernacht
auf seinem kleinen Hügel hält die Wacht,
könnt er sie alle in den Weiher tunken,

die Sterne, die ihm nun unsagbar fern
und fremd vorkommen. Wie oft hatten beide
hier oben sie gezählt, am Himmelskleide
Pailletten, denn so nannten sie sie gern.

In seinen Augen glühte dann der Bern-
stein heiß und innig für sein liebstes Wesen.
Nur sie konnt diese Blicke richtig lesen.

Auch umgekehrt gereichte dieses Band.
Heut steht sein Sinn bald an des Wahnsinns Rand.
Im Herzen glimmt ihm noch ein kleiner Funken.

III. Der Wolf

Im Herzen glimmt ihm noch ein kleiner Funken.
Mit etwas Nahrung wüchse der jedoch,
verbrannte vielleicht jenes eisge Joch,
das ihn in Agonie behält, versunken.

Wer wäre denn bereit, wer würd es wagen,
dem alten Dachs in seiner kleinen Welt
ein Licht zu sein? Er müsste nicht mal Held
sein, bräucht nur etwas Mut und Unverzagen.

Dem Schlot entweicht, nebst Qualm, auch süße Fahne:
Der Dachs bereitet Tee mit etwas Sahne.
Ein junger Wolf erscheint vor seinem Bau.

Gerade will den Jüngling er begrüßen,
tritt dieser schon die Gastfreundschaft mit Füßen.
Er redet sehr gemein und wenig schlau.

IV. Die Fähe

Er redet sehr gemein und wenig schlau,
drum jagt der alte Dachs ihn auch von dannen.
Und keift: „Solch böse, schelmverfluchte Mannen
wie du, sind Grund, dass keinem ich mehr trau!“

Nicht weit von diesem Streit, ganz in der Nähe,
steht lauschend, aufmerksam und frei von Frust,
dafür micht heißem Feuer in der Brust,
sich schließlich langsam nähernd, eine Fähe.

Als sie den letzten Baum, der sie noch trennt,
umrundet und auf jenen Alten schaut,
fährt beiden Schauer tief unter die Haut.

Ein altes Fühlen greift sich den Moment;
und ihr entfleucht, wie Wasser aus dem Sieb:
„Der Dachs ist sehr charmant und äußerst lieb.“

V. Das Gespräch

Der Dachs ist sehr charmant und äußerst lieb.
Er bitte sie hinein in seine Stube.
Sie folgt, erfleht sich keine Mördergrube,
trifft - glücklich - keinen Räuber, keinen Dieb,

denn dort ist nur der alte Dachs zu Hause.
Die beiden sitzen lange beieinand.
Sie reden über Leute, Gott und Land
und nur der Schluck am Tee schafft eine Pause.

Der Fähe steht im Nacken die Behaarung,
als sie in seinen Augen leichten Spott
erkennt. Das Thema wählt sie aus Erfahrung:

„Glaubst du an Ahnen und an ihre Geister?“
„Das mag schon sein, doch Heil liegt nur in Gott,
solange du ihn wählst als deinen Meister.“

VI. Der Heimweg

„Solange du ihn wählst als deinen Meister“,
der Satz meandert noch durch ihr Gemüt,
als ihr, schon auf dem Heimweg plötzlich blüht:
„Ich kenne seinen Namen nicht. Wie heißt er?“

Sie wendet sich, will rennen, doch hält inne:
„Er braucht jetzt seine Ruhe, seinen Schlaf.
Ich weiß, dass ich ihn nicht mehr stören darf.
Es wäre sicher nicht in seinem Sinne.“

Sie trottet also Heim auf ihre Art
und denkt dabei noch an des Dachses Rat:
„Nimm dich in Acht vor dem Finanzdienstleister!

Krichst du im Staube, lässt er dich links liegen;
hast du die Krone auf, spinnt er Intrigen;
gehst du als Gleicher zu ihm hin, dann beißt er.“

VII. Der Bär

Gehst du als Gleicher zu ihm hin, dann beißt er,
der Bär, er ist im Wald das stärkste Tier.
Er duldet keine Konkurrenten hier.
So bleibt er stets der andern Herr und Meister.

So manchem hat er Lehren eingebleut.
Der große Hirsch, zum Beispiel, der den Tieren
mal zeigen wollte, wie sie rebellieren
hat den Zusammenstoß alsbald bereut.

Wer das erlebte fristet dann sein Dasein
gebrochen, fort der anmutige Schein,
die Seele so durchlöchert wie ein Sieb.

Getroffen hat es auch den stolzen Eber.
Jetzt laufen Läuse über seine Leber.
Als Stärke blieb ihm nur sein Abwehrtrieb.

VIII. Das Abendmahl

„Als Stärke blieb ihm nur sein Abwehrtrieb.“
Mit diesen Worten endet seine Fabel,
mit der er ihr, wild fuchtelnd mit der Gabel,
die Zeit vertreibt. „Wärst du wohl noch so lieb

und schenkst mir altem Brummbär nochmal ein?“
Sie greift, genüsslich kauend, nach der Flasche
mit dem erlesnem Tropfen „Kräutertasche“.
Wie schön kann doch ein Abendessen sein...

So fliegen auch am zweiten Tag die Stunden.
Im Schildern von Legenden ist er groß.
Da plötzlich springt sie auf. „Ich muss jetzt los.
Adieu!“ - huscht aus der Tür und ist verschwunden.

Der Dachs perplex: „Wann komst du wieder? HALT!“
Er ruft nun seinen Bass tief in den Wald.

IX. Der Traum

Er ruft nun seinen Bass tief in den Wald,
versucht in duklen Schemen sie zu wähnen.
Ein kühler Hauch lässt seine Augen tränen.
Derweil verlischt das Feuer, es wird kalt.

Der Dachs verzieht sich tief in seine Höhle.
Fast andächtig löscht er den Kerzenschein
und mummelt sich in seinem Bettchen ein.
Ein Duftnachtlicht verströmt noch zarte Öle.

Im Traum zieht unser Dachs durch eine Schlucht.
Die Fähe weicht ihm nicht von seiner Seite.
Ihr beider Wanderlied weit hörbar hallt.

Wenn sie doch stets sein Abendmahl bereite...
Er schmettert einen Freudenschrei mit Wucht.
So wartet er, dass freundlich Echo schallt.

X. Der Morgen

So wartet er, dass freundlich Echo schallt.
Verdattert wacht er auf vom eignen Rufen.
DieÄuglein öffnen sich in kleinen Stufen
und schnell bemerkt der Dachs: Verdammt! Wie kalt.

Kein Liebchen hielt die Glut im Ofen wach.
Diffuses Morgenlicht durchfließt die Scheiben,
die wohl noch etwas länger schmutzig bleiben.
Der Tag erwacht, die Vögel schlagen Krach.

Was kümmert ihn die Welt, soll sie doch lärmen.
Er ist berührt, am dritten Tage schon
vermisst er zarte Worte seiner Fähe.

Sein Feuer ist entfacht, in den Gedärmen
beflügeln Schmetterlinge seinen Wunsch auf Ehe.
Das wäre doch sein wohlverdienter Lohn?!

XI. Der Vater

Das wäre doch sein wohlverdienter Lohn?!
Wie er's auch dreht und wendet, er kommt immer
an jenen Punkt, wo alles in sich fällt,
sein Schachzug wär geglückt, doch ohne Geld.

Er hört, wie jemand vor der Türe hält.
Die Fähe tritt hinein in Vaters Zimmer.
„Papa, ich weiß, du magst hier kein Gewimmer,
doch weiß ich auch, ich wär dir lieber Sohn.

Nun bin ich auch als Tochter etwas nütze.
Ich war beim Dachs wir haben lange Zeit
geredet, er war trunken und bereit,
erzählte vom Geheimnis seiner Mütze.

Was meinst du denn? Oh Papa, sag doch schon!
Es kommt zurück ein fröhlich-frischer Ton.“

XII. Der Verrat

Es kommt zurück ein fröhlich-frischer Ton,
als er den Weg entlang sie nahen sieht
und ihr entgegen singt sein Liebeslied.
Er harrte vor dem Bau seit Stunden schon.

Die Füchsin schließt ihn lächenld in die Arme
und freudig streift sie mit dem Schweif sein Bein.
Der Dachs, der nun schon ewig war allein,
erliegt - sehr glücklich - gerne ihrem Charme.

Und als er abends, schließlich wieder Single,
bemerkt, dass seine Kopfbedeckung fehlt,
da schrillt im Hirn Alarm! die laute Klingel.

Die Drossel auf dem Fenster draußen kehlt
ein leises Lied von duftend rotem Mohn.
Die Ohren, leider, hören nichts als Hohn.

XIII. Die Standpauke

Die Ohren, leider, hören nichts als Hohn.
„Du willst mir eine gute Tochter sein?
Kommst nur zurück mit einem Mützelein.
Das sowas sehr enttäuscht, das find ich schon!“

„Die Mütze ist doch magisch, Papa schau ...“
„Genug! Das alte Ding ist voller Motten.
Soll es doch auf dem Kopf vom Dachs verrotten.
Ich hatte sooo gehofft, du wärest schlau.“

Die Füchsin läuft so schnell sie kann hinaus
und feuchtes Fell umschmeichelt ihr Gesicht.
Bald ist sie tief im dunkelgrünen Wald.

Die Lieblingsquelle ihrer Kindheit spricht
ihr blubbern Mut zu: „Mach dir bloß nichts draus!
Die Sicherung ist ihm wohl durchgeknallt.“

XIV. Die Dunkelheit

Die Sicherung ist ihm wohl durchgeknallt.
Das Licht ist aus, die Birne noch intakt.
Der Schalter, der nun nur noch kläglich klackt,
ist bar jeder Funktion, sein Klack verhallt.

Die Kerzen könnte er jetzt gut gebrauchen,
um Licht durch diese Dunkelheit zu weben.
Dem Dachs ist leider grade nicht nach Leben.
So sieht man seinen Ofen auch nicht rauchen.

Die Fähe hat sein Herz entzwei gerissen.
Sie stahl ihm seine Mütze, die zerschlissen
und dennoch ihm sein Liebstes war gewesen.

Sie war mal ein Geschenk von seiner Frau.
Das Magische: Sie ließ ihn stets genesen.
Es sitzt ein alter Dachs in seinem Bau.

XV. Der wahre Dachs

Meistersonett

Es sitzt ein alter Dachs in seinem Bau.
Sein Morgenstern ist lange schon versunken.
Im Herzen glimmt ihm noch ein kleiner Funken.
Er redet sehr gemein und wenig schlau.

Der Dachs ist sehr charmant und äußerst lieb,
solange du ihn wählst als deinen Meister.
Gehst du als Gleicher zu ihm hin, dann beißt er.
Als Stärke blieb ihm nur sein Abwehrtrieb.

Er ruft nun seinen Bass tief in den Wald.
So wartet er, dass freundlich Echo schallt.
Das wäre doch sein wohlverdienter Lohn?!

Es kommt zurück ein fröhlich-frischer Ton.
Die Ohren, leider, hören nichts als Hohn.
Die Sicherung ist ihm wohl durchgeknallt.

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"Heiter bis Wolkig", "Sonetten-Kranz"

Das Gedicht findet sich in folgenden Büchern:
"Stachels Festungspostille I"