Die Unterscheidung in „männliche“ und „weibliche“ Versenden ist in der Gedichtanalyse ein Relikt, dass aus der französischen Sprache stammt. Ebenso verhält es sich mit der Unterscheidung in „stumpf“ und „klingend“, die sich ebenfalls auf das Französische bezieht, hier mal am substantivierten Adjektiv „aufrecht“ dargestellt:
le droit (der Aufrechte)
männlicher Genus, das „t“ am Ende bleibt stumm (stumpfes/männliches Ende)
la droite (die Aufrechte)
weiblicher Genus, durch das „e“ am Ende wird das vorstehende „t“ nun gesprochen und wird hörbar (klingendes/weibliches Ende)
Für die deutsche Sprache ist dieses Konstrukt nicht gut geeignet. Es weckt falsche Assoziationen, denn im Deutschen hängt die Aussprache der Endungslaute nicht auf diese Art mit dem grammatikalischen Geschlecht zusammen.
Wenn ihr vor die Orgel tretet,
freuet euch an ihrem Klang.
Unzweifelhaft ist das Wort „Klang“ ein sehr klingendes (oder besser: klangvolles) Wort. Es endet mit einem weichen Nasal („ng“), der beliebig weitergesprochen und in die Länge gezogen werden könnte.
Das Wort „tretet“ hingegen endet, nach einem typischen, kurzen Endungs-„e“, dass eher in Richtung „ä“ klingt (offenes „e“), mit einem harten Plosiv („t“), der nicht weitergeführt werden kann.
Nach herkömmlicher Bezeichnung wäre der erste Vers am Ende weiblich/klingend, während der zweite männlich/stumpf endet.
Hier werden also zwei Konzepte (Betonung/Metrum und Sprachklang) teilweise vermischt, die in unserer Sprache unabhängig voneinander existieren und die auch beide eine unterschiedliche, jeweils eigene Wirkung in Gedichten entfalten können. Gleichzeitig liegt hier ein Fall von leicht vermeidbarem Sexismus vor, denn den Geschlechtern werden Eigenschaften zugewiesen. Gemeint ist zwar der Genus, aber wegen des fehlenden Unterschieds in der Bezeichnung (es heißt beides „männlich/weiblich“), klingt automatisch der Sexus mit an. Frauen werden dadurch unterschwellig als klingend und Männer als stumpf bezeichnet. Ob hierin jedoch der Grund besteht, warum sich das System weiterhin hält und sich kaum Proteste erheben, denn die Frauen kommen ja deutlich besser weg, will ich mal als unbewerteten Gedankenfetzen der Bewertung der geneigten Leserschaft überlassen.
Welche Alternativen gibt es?
In den meisten Fällen geht es vorwiegend um die Frage, ob ein Vers betont oder unbetont endet, ob er also am Ende eine Hebung oder Senkung enthält. Warum sollte man das nicht genau so auch beschreiben? Statt „mwwm mwwm wmm mmw“ könnte einfach „buub buub ubb bbu“ oder „HSSH HSSH SHH HHS“ geschrieben werden.
Ein weiterer große Vorteil hierbei wäre, dass ein Begriff frei würde, um auf den tatsächlichen Klang am Ende („hart“ vs. „weich“, „lang“ vs. „kurz“, etc.) Bezug nehmen zu können.
Dieser wird nämlich in der Betrachtung oft außen vor gelassen, was vielleicht auch ein Stückchen an der bislang ungünstigen Verwendung des Terminus „klingend“ liegt.
Wer übrigens beim Titel gedacht hat, hier geht es thematisch darum, etwas zu versenden, darf bei Gefallen diese Gedanken gerne interessierten Personen zusenden. ;)