Ich glaube nicht an dich. Du weißt das. Also, du könntest es wissen, wenn es dich gäbe. Aber es gibt dich ja nicht. Ich meine nur, wenn es dich doch gäbe, dann müsste es dir doch nahe gehen. Es müsste dich doch sehr traurig machen, dass ich nicht an dich glaube, dass ich mich beharrlich weigere, deine Existenz anzuerkennen. Ich bin zwar nur eine von vielen. Aber kommt es dir nicht auf jede einzelne Seele an? Bedeutet dir nicht das Fehlen jeder einzelnen einen schmerzlichen Verlust? Und tut es dir nicht in deiner eigenen Seele weh, wenn jemand nicht an dich glauben will? Hast du überhaupt eine Seele? Vielleicht hast du auch alle Seelen der Verstorbenen in dir und jede zerreißt ein kleines Stückchen meinetwegen. Dann täte mir mein Starrsinn sehr leid, denn das würde ich nicht wollen.
Niemand kann ermessen, wie viel Leid ich dir bescherte
dadurch schon allein, dass ich dich nicht gebührend ehrte.
Zum Glück gibt es dich aber nicht. Das erkläre ich auch den Kindern. Natürlich erzähle ich von dir. Das muss ich tun, denn einen Großteil unseres Lebens, unserer Kultur, beeinflusst du. Wegen dir gibt es Feiertage, Geschenke zu Weihnachten, Ladenschlusszeiten, Kirchengebimmel und die Angst vor dem Muezzin. Wir erzählen den Kindern auch, dass die Menschen dich erfunden haben, ... also, einige Menschen ... weil sie an etwas glauben wollen, an etwas glauben müssen. Weil sie eine Richtschnur und eine Erklärung brauchen. Je mehr Chaos es gibt, desto mehr Erklärung scheint nötig.
Steht die wilde Welt ringsum in himmelhohen Flammen,
schnüre ich sie mit der Richtschnur zum Paket zusammen.
Es wäre viel einfacher, den Kinder zu sagen, dass Oma seit zwei Jahren bei dir ist und dass unser Kater im Katzenhimmel fröhlich den Mäusen hinterher jagt. Leider gibt es dich nicht. Aber erklär doch mal Kindern den Tod. Ich denke, du weißt, was ich meine. Auf der einen Seite ist es schade. Es könnte uns so viel Verantwortung abnehmen, so viel Last von den Schultern heben, die wir uns tagtäglich aufladen. Wie befreiend, ja, geradezu erhebend muss es sein, zu beichten und für alles Vergebung erfahren zu dürfen. Endlich kann man jeden Scheiß anstellen und sich hinterher immer wieder reinwaschen. Ohne dich müssten die Menschen neue Gründe finden, um andere zu terrorisieren, zu knechten und moralisch, tatsächlich oder finanziell zu versklaven. Meinst du, sie würden das schaffen? Ich denke schon. Menschen sind sehr findig. Bei vielen wurdest du ja schon hochoffiziell durch den Gott des Wachstums ersetzt.
Lieder klingen durch die Zeit, wir singen kräftig mit.
Trifft der Text auch nicht das Herz, es führt der Beat den Schritt.
Aber auf der anderen Seite bin ich froh, dass es dich nicht gibt. In der Kirche treffe ich freundliche Leute. Wenn ich zwischen ihnen sitze, komme ich mir manchmal wie ein Lügner vor, aber außer dir kann das niemand wissen. Ich kann die Kirchenlieder, die ich so mag, einfach mitsingen. Ich muss mir keine Gedanken über die tiefere Bedeutung ihrer Worte machen. Selbst das Glaubensbekenntnis kann ich aufsagen, egal, ob ich es so meine oder nicht. Du bist nicht da, um mich zu richten. Falls du doch da sein solltest, müsstest du mich nicht richten, denn ich habe mich öffentlich zu dir bekannt. Das ist immerhin mehr, als Petrus für dich tat, oder? Ich liebe Win-Win-Situationen.
"Heiter bis Wolkig"
"Stachels Festungspostille II"